Einführung
Am Anfang des Lebens: Sich umsehen.
Mit dem Begriff der Depression ist der emotionale Zustand gemeint, der sich als Folge aus der Unterdrückung all dessen und aus der Deprivation von all dem ergibt, was uns essentiell ausmacht. Der emotionale Zustand tritt allerdings erst viel später im Leben ein, dann nämlich, wenn der Weg der Selbstentfaltung nach dem Aufbruch ins Leben durch all die entmutigenden Erfahrungen bald schon abgebrochen wurde. Die Phase und Lebensqualität des Aufbruchs, im Jahresverlauf mit dem Monat März assoziiert, gehört essentiell zur Kindheit bis etwa sieben Jahre. In dieser Zeit wird die Richtung des weiteren Entwicklungswegs geprägt, wenn auch keineswegs endgültig vorherbestimmt.
Von den Begegnungserfahrungen des Kindes hängt ab, welche Sicht es auf sich selbst erhält. Wird ihm gegenüber von Potenzial und Talent gesprochen, von seinen Schwächen und seinen Stärken, wird ihm sein Wert als Mensch und sein Wert für die Gemeinschaft vermittelt, kann es sich in gesunden Beziehungen aufgehoben fühlen oder lehnt man seine Person ab, steht ihm gleichgültig gegenüber, schließt es aus und belegt es mit Angst und Wertlosigkeitsgefühle nährenden Zuschreibungen? Der Aufbruch der frühen Kindheit ist vor allem eine Zeit des Empfangens, um das Noch-nicht-Wissen zu überbrücken, bis man den weiteren Kompetenzerwerb selbst in die Hand nehmen kann. Es ist eine Zeit der ersten Orientierung über das Wesen des Lebens: Wozu ist es gut, dieses Leben an sich? Was kann man aus ihm machen? Welche Möglichkeiten kann ich von hier aus sehen, wo ich gerade ins Leben eingetreten bin?
Wenn diese Orientierung nicht gelingt und das Kind falsch unterrichtet wird über sich selbst und über das Leben, indem falsche Glaubensmuster und konditioniertes Denken weitergegeben werden, gelingt der Aufbruch nicht. Der heranwachsende Mensch verharrt in einem Zustand, in dem er nie über den Lebensaufbruch hinausgeht, das kindlich-impulsive und dann auch das kindlich-konditionierte Verhalten nie transzendiert, indem der*die Heranwachsende sich sein*ihr Selbst erschließt. Vielleicht wurde im Rahmen der Falschinformation die Existenz des Selbst verschwiegen oder gar verleugnet. Vielleicht gab es ein egoistisches Interesse daran, auch das Kind in seinem Ego zu halten.
Zur Depression kommt es, wenn man sich sich selbst derart vorenthält, dass von Selbstverleugnung, Selbstablehnung und Selbstabwertung und insgesamt von einer Selbstdeprivation gesprochen werden muss. In der Inkonsistenz zwischen Psyche und Seele oder auch schon zwischen Ich und Selbst, entsteht ein Spannungsverhältnis, das je nach Temperament zur Aggression (im Aktivpol) oder zur Depression (im Passivpol) führt. Dabei gibt es nicht nur eine Art von Depression, wie es nicht nur eine Art gibt, sich selbst den Lebensvollzug vorzuenthalten. Bei der emotionalen Depression, die nicht auf einer neurologischen Störung beruht, sondern eben auf der Diskrepanz zwischen der Essenz und der Existenz eines Individuums, gibt es mindestens sieben Ursachen und sieben verschiedene Ausprägungen des emotionalen Zustands. Wollte man einem depressiven Menschen wirklich helfen, müsste man alle sieben Ursachenmöglichkeiten sorgfältig besprechen. Der Weg raus aus dem Zustand, in dem man sich um sich selbst betrügt, geht über die Lebensqualität der Neugier und zunächst in den Aktivpol hinein. Von dort muss der Weg allerdings tatsächlich weiterführen, nämlich in eine Haltung hinein, in ein schöpferisches Handeln und in die Ausbildung von Ressourcen. Insofern erweist sich das Versäumnis, den Menschen über das Potenzial der Menschheit aufzuklären und ihm diese wichtige Information vorzuenthalten als Hauptursache für sieben mögliche Depressionsarten.
© Ariela Sager