Der Weg zu Empathie und Selbstvertrauen
Viertes Beziehungs- und Entwicklungsdreieck
Urangst: Angst vor Verlust, Isolation und Einsamkeit.
Grundbedürfnis: Bedürfnis nach Verbindung und Beziehung.
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1 Kontrollstrategie (Passivpol, passivischer Teil des Egos):
Rückzug. Sich selbst und andere im Stich lassen. Emotionale Bedürftigkeit (the needy child). Warten auf Rettung. So tun, als bräuchte man keine Liebe und als vermisse man nichts und als sei man sich selbst genug (ohne es tatsächlich zu sein). Im Passivpol ist die kindlich-konditionierte Strategie die, die Einsamkeitsgefühle zu kontrollieren. Trotzigkeit wäre hier eine begleitende Emotion: “Ich brauche niemanden!” Dieser Trotz wird auch mit dem Begriff der Pseudoautonomie beschrieben (auch wenn die Autonomie zu einem anderen Dreieck gehört). Das Individuum zieht sich zurück, strahlt aber aus, dass es eigentlich dringend braucht, geliebt zu werden. Dieses Grundbedürfnis ist an sich legitim. Es ist das innere Kind, das nach Zuwendung verlangt. Es sollte diese Zuwendung vom inneren Erwachsenen erhalten, so wie das physische Kind die ihm zustehende Zuwendung von seinen erwachsenen Bezugspersonen hätte erhalten sollen. Das Kind, das der Zuwendung entbehren musste, hat eine Strategie entwickelt und sich selbst darauf konditioniert, sie anzuwenden, um die Einsamkeitsgefühle und ihren einhergehenden Schmerz zu kontrollieren: Es tut so, als würde es ihm nichts ausmachen, allein zu sein. Wäre der innere Erwachsene im erwachsenen Menschen präsent, würde es dem inneren Kind tatsächlich nichts oder zumindest weniger ausmachen, wenn das Individuum für sich allein ist. Das alleingelassene innere Kind aber fühlt sich eben verlassen und allein gelassen und kann nur versuchen, den Schmerz zu unterdrücken oder passiv-aggressive Erpressung auszuüben.
Hemmende Glaubenssätze:
Ich war immer schon einsam. Mit mir wollte nie jemand etwas zu tun haben.
Ich bin ein einsamer Mensch und trotz der vielen Menschen um mich herum der einzige Mensch meiner Art auf diesem Planeten.
Ich bin nicht liebenswürdig.
Ich verdiene keine Liebe.
Im muss mir Liebe verdienen.
Andere Menschen sind nicht für mein Glück verantwortlich, aber ich bin es auch nicht.
Wie soll ich lernen, mich selbst zu lieben, wenn ich nie gezeigt bekommen habe, wie sich Liebe anfühlt?
Ob man sich geliebt fühlt oder nicht, hängt vom Zufall ab.
Der Zufall der Liebe währt eh nie lange.
Mich hat noch jeder Mensch verlassen, den ich geliebt habe.
Wenn jemand mich wirklich liebt, muss er*sie es mir beweisen.
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2 Kompensationsstrategie (Aktivpol, aktivischer Teil des Egos):
Bevormundung. Manipulation. Abhängigkeit. Eifersucht. Hass. Die Rolle des Retters spielen. Im Aktivpol wird der empfundene Mangel aktiv (aggressiv) in die Hand genommen, in dem Versuch, ihn zu beseitigen oder das Gefühl des Mangels zu kompensieren. Der Hass und die Eifersucht deuten auf das Wesen des Mangels hin: Man fühlt sich von der Liebe getrennt. Jemand, der sich ungeliebt fühlt, kann nicht gut mit sich selbst allein sein. Wer nicht mit sich selbst allein sein kann, wird Menschen oder auch nur Stimmen und Geräusche (aus dem Fernseher oder dem Radio) um sich herum versammeln, um dem inneren Kind das Gefühl zu geben, es sei nicht alleine. Wer sich einsam fühlt, wird es genauso machen. Er*sie wird zusätzlich danach streben, Menschen an sich zu binden. Hass und Eifersucht entwickeln sich, wenn diese Bindung nicht gelingt. Andere Menschen werden zum Herankommen und zum Bleiben motiviert, oft auch drangsaliert und manipuliert. Es werden kongruente Rollen angeboten. Das bedürftige Kind des Passivpols, das auf Rettung wartet, findet im Aktivpol einen Menschen, der Rettung anbietet. Dann klammern sich zwei ertrinkende Kinder aneinander, denn auch dem Aktivpol-Menschen fehlt die Selbstfürsorge des inneren Erwachsenen. Der Schmerz der Einsamkeit wird nur kompensiert, oft durch Medienkonsum, Nahrungsaufnahme, Ablenkungen oder durch die Überfürsorglichkeit anderen Lebewesen gegenüber. Eine wichtige Strategie des alleingelassenen inneren Kindes ist die Eifersucht als emotionaler Ausdruck der Verlustangst und es ist die Bevormundung, mit der ein Mensch versucht, einem anderen Menschen zu suggerieren, dass er*sie für ihn*sie gut sorgen kann.
Hemmende Glaubenssätze:
Ich will doch nur das Beste für Andere.
Ich will, dass es anderen gut geht und ich kann dafür sorgen, dass es ihnen gut geht.
Ich kann zwar nicht mich, aber andere glücklich machen.
Man kann sein Herz doch nicht teilen.
Man kann nur einen einzigen Menschen wirklich lieben.
Wenn ich jemanden wirklich liebe, muss ich es ihm*ihr doch beweisen.
Ich will nicht für den Rest meines Lebens allein sein.
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3 Einstellungswerte (Yin-Kraft / Emanzipation von der Urangst, weiblicher Teil des Selbst):
Empathie. Einfühlungsvermögen. Das innere Kind ist ab dem Augenblick nicht mehr allein, in dem das Individuum die Selbstempathie aktiviert. Punkt. Nicht andere Menschen haben die Aufgabe, dem inneren Kind zuzuhören. Schön, wenn sie es tun. Die Welt wird wunderbar, je mehr Menschen die Empathie aufbringen, sich in andere Menschen einzufühlen. Aber das wird erst geschehen, je mehr Menschen in der Lage sind, sich in sich selbst einzufühlen und sich auf diese Art mit sich selbst zu verbinden. An der Selbstempathie endet die Einsamkeit.
Fördernde Glaubenssätze:
Ich bin für mich selbst da.
Ich höre mir selbst zu.
Ich spreche mit mir und identifiziere meine Gefühle und Gedanken und helfe mir selbst, sie zu sortieren und alle Verantwortlichkeiten zu ordnen.
Selbstempathie zu besitzen, ist unendlich wertvoll. Selbstempathie lässt mich erwachsen sein.
Mit der Selbstempathie gehe ich über die Egozentrik hinaus.
Ich liebe andere Menschen, aber ich brauche sie nicht.
Von der Selbstempathie wird der Weg in die Empathie frei.
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4 Schöpferische Werte (Yang-Kraft / Eigenkraft, männlicher Teil des Selbst):
Loyalität. Kooperation. Teamgeist. Kontaktaufnahme. Beziehungspflege. Fürsorge. Familiensinn. Loyalität heißt, zu jemandem zu stehen und ihn zu unterstützen. In der Loyalität wird der Einstellungswert der Empathie verwirklicht und spürbar gemacht. Woran merkt jemand, dass er von jemand anderem (menschlich) geliebt wird? Er*sie merkt es daran, dass er*sie in schwierigen Situationen Beistand findet. Hier ist nicht unbedingt von einer romantischen Liebe die Rede, sondern von der Menschenliebe, der Philanthropie. Jemand reicht uns die Hand, wenn es schwierig wird. Oder wir reichen jemandem die Hand. Aber zuerst reichen wir uns selbst die Hand und lassen uns selbst, unser inneres Kind nicht im Stich, wenn die Dinge schwierig und anstrengend werden. Wir sind da. Für uns. Und dann auch für andere. Wir bieten an, was wir können in dem Bewusstsein dafür, dass wir alle im gleichen Boot sitzen und dass es mit einem kooperativen Engagement und gemeinsam leichter geht, das Leben. Das kann sich darauf beschränken, gemeinsam einen Tisch zu decken, statt sich nur an den gedeckten Tisch zu setzen oder auch den Tisch in bewusster Gastfreundschaft und als Akt der Fürsorge für jemanden zu decken und dann an diesen Tisch einzuladen.
Fördernde Glaubenssätze:
Ich stehe mir selbst bei und stehe als innere*r Erwachsene*r hinter meinem inneren Kind. Ich verhalte mich mir selbst gegenüber loyal.
Ich nehme mein inneres Kind an die Hand und regele die Dinge, die zu regeln sind, auf erwachsene Art.
Ich kümmere mich regelmäßig um meine Innenwelt.
Ich sorge für mich und meine Bedürfnisse.
Ich nutze meine Kraftquellen.
Ich stelle Beziehungen aus meiner Fülle heraus aktiv her, indem ich Kooperation anbiete.
Ich stehe anderen bei, wenn sie es schwer haben, weil ich es kann.
Ich achte darauf, dass ich meinen Werten gemäß handele.
Ich erkenne die Sinnanfragen, die das Leben mir auf viele Arten stellt und beantworte sie aus meinen Werten heraus.
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5 Ressource:
Innerer Kompass. Selbstvertrauen. Verbundensein mit sich selbst. Verbundensein mit der Erde. Verbundensein mit Anderen. Der Begriff des Selbstvertrauens meint, dass das innere Kind sich auf die Verbindung mit dem inneren Erwachsenen verlassen kann. Die Verbindung zwischen dem inneren Kind und dem inneren Erwachsenen ist das Selbst. Es ist die Beziehung zu sich selbst. Diesem Selbst kann das innere Kind vertrauen. In diesem Selbst ist es zuhause. Dort wird es umsorgt, behütet, beschützt und verteidigt. Dort wird es wahrgenommen und gelten gelassen. Dort darf es alles sagen, was es fühlt. Dort fühlt der innere Erwachsene sich in das Kind ein und kümmert sich um das, was das Kind braucht, um sich geborgen, lebendig und sicher zu fühlen. Da der innere Erwachsene die Aktivierung der Werte darstellt und das innere Kind ein Seismograph für Harmonie und Disharmonie ist, bildet das Selbstvertrauen zugleich den inneren Kompass oder das Gewissen. Wir fühlen es im Herzen, wenn wir gegen unsere Werte verstoßen, wenn wir uns selbst im Stich lassen oder uns selbst sogar betrügen. Unser Gewissen meldet sich dann mit einem schlechten Gewissen, indem es uns Unaufrichtigkeit signalisiert. Wir fühlen uns immer dann unaufrichtig, wenn wir so tun, als würden wir einen anderen aus unserer Mitte heraus ansprechen, die Kontaktaufnahme aber in Wahrheit vom alleingelassenen inneren Kind geführt wird. Diese Unaufrichtigkeit wird auch von anderen erkannt und zurückgewiesen. Ein echter Kontakt aus der inneren Mitte fühlt sich auf keinen Fall aufdringlich und fordernd an, sondern warmherzig, leicht und einladend.
Fördernde Glaubenssätze:
Ich kann mich auf mich selbst verlassen.
Ich bin in mir selbst zuhause und geborgen und kann von dort nach außen gehen.
Ich weiß, was mir gut tut und was meine Kraftquellen sind, zu denen ich zurückkehren kann, um mich wieder aufzuladen und zu stärken.
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6 Spirituelle Fähigkeit und spiritueller Wert (höheres Selbst):
Telepathie und Liebe. Liebe ist das Bewusstsein dafür, dass wir alle aus derselben Quelle stammen und dass wir alle mit dem Leben das gleiche Abenteuer unternehmen, nämlich den Weg zu uns selbst zurückzufinden. Es ist das Bewusstsein dafür, dass der Weg zurück zur Quelle für jede und jeden von uns beschwerlich und die Reise lang ist. Es ist das Bewusstsein dafür, dass wir über die universale Matrix miteinander verbunden sind und dass wir uns von Herz zu Herz verständigen können und es auch tun, selbst wenn es uns nur unbewusst bewusst ist. In dieser Herz-zu-Herz-Verbindung liegt die Fähigkeit der Telepathie. Liebe ist das Bewusstsein dafür, dass jeder von uns eine Individuation der Liebe ist, und Telepathie erfolgt über das Bewusstsein, dass es die Liebe ist, die uns eint und über deren energetische Bahnen wir uns gegenseitig erreichen können.
Fördernder Glaubenssatz:
Auf energetischer Ebene sind wir alle miteinander verbunden, denn jeder Mensch ist ein Teil des kosmischen Bewusstseinsstroms, dem wir als Individuationen alle angehören.
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Dualität (Instrumentalisierung) und Polarität (Interdependenz):
Im dualistischen Denken wird eine gegenseitige Abhängigkeit gepflegt, in der einer den anderen instrumentalisiert, um sich weniger allein, isoliert, einsam und verloren zu fühlen. Das Verlorenheitsgefühl ist das zweite ganz große Menschheitsthema. Hier hat das Drama-Dreieck der Psychologie seinen Ursprung, das aus den Komponenten Opfer, Täter und Retter besteht. Im dualistischen Denken machen Menschen sich voneinander abhängig, versuchen sich aneinander zu binden und klammern sich ganz oft wie Ertrinkende aneinander. Im polaren Bewusstsein verbinden sich zwei oder mehrere in ihrem Innern und mit sich selbst verbundene Menschen im Bewusstsein der Interdependenz, also aus einem Bewusstsein heraus, dass man sich gemeinsam auf der großen Lebensreise befindet und dass diese Reise gemeinsam leichter zu bewältigen ist. Interdependenz meint die wechselseitige kooperative Bezugnahme aufeinander im Modus einer liebevollen Zugewandtheit. Dieser Modus entspringt dem Bewusstsein dafür, dass es über alle Grenzen hinweg ein großes Wir gibt, das uns eint.
© Ariela Sager