1 – Gedeihen

Den Archetyp des*der Lehrer*in verwirklichen

*Archetypen müssen eigentlich nicht gegendert werden, weil ihre Energie in jedem Menschen weiblich oder männlich zentriert vorliegen. Es handelt sich nach C. G. Jung um Seelenbilder und Grundmuster des Erlebens. Die Hexe kann als Archetyp im Mann liegen wie der Archetyp Ritters in der Frau. Für die Förderung der Identifikation und weil Sprache Wirklichkeit erzeugt, gendere ich die Archetypen in der folgenden Textreihe dennoch. Es ist wichtig für das Fortkommen der Welt, dass Frauen sich ebenso als Lehrer, Heiler, Künstler und Propheten bereithalten wie Männer. Darum müssen sie sich solange explizit angesprochen fühlen, bis eine echte Selbstverständlichkeit darüber vorherrscht, dass Frauen ihren Platz in der Matrix und damit in der Welt aktiv einnehmen und bespielen.

Wie gelingt das Leben und wie gelingt der Mensch? Sicher nicht, indem ein Mensch dem Leben gegenüber die Haltung des bloßen Überlebens einnimmt oder sich gezwungen sieht, sie einzunehmen. Ein Mensch muss in seinem Menschsein gedeihen können, damit sein Leben von ihm*ihr selbst als gelungen empfunden werden kann. Dieses Gedeihen unterliegt allerdings dem natürlichen Lebensrhythmus, der in Höhen und Tiefen verläuft aufgrund der spiralförmigen Anordnung der Lebenspyramide, wie sie der Evidenz nach das Leben offenbar ganz treffend abzubilden vermag.

Wir gedeihen auch im Schatten, im Regen, im Sturm, in der Trockenheit, sofern alle Phasen in einem stetigen Wechselverhältnis mit einem Nährstoff bietenden Boden, Sonnenschein und einer angemessenen Wasserversorgung stehen. Wenn man sich von dem Orakelsystem des altchinesischen I Ging inspirieren lässt, erkennt man das Auf und Ab des Lebens als klare Notwendigkeit zum menschlichen Gedeihen, wobei Gedeihen dort der Aufstieg auf den Entwicklungslinien und die Rückkehr in das jeweilige Urbild eines Lebensphänomens meint. Den Weg zu sich selbst beschreiten zu können und darin nicht aufgehalten zu werden, das ist Gedeihen.

Davon abgesehen, dass Eltern viel tun können, um ihr Kind gedeihen zu lassen, können auch Erwachsene sich gegenseitig in ihrem Gedeihen unterstützen. Hierin läge ein möglicher persönlicher Beitrag zum Gedeihen der Welt. Ganz häufig ist die Ermutigung (die Yin-Kraft zu diesem Dreieck) darüber am notwendigsten, dass es kein Lebensalter gibt, in dem Gedeihenkönnen und Selbstwerdung aufhören würden. Wenn der Mensch es sich erlaubt, gedeiht er sein Leben lang (die Yang-Kraft zu diesem Dreieck). Selbst wenn das aktive und bewusste Gedeihen eine Zeitlang ausgesetzt worden sein mag, kann der Prozess jederzeit wieder aufgenommen werden.

Als Nächstes ist der Dialog über die Zeiten wichtig, in denen man meint, nicht zu gedeihen, weil man das Leben als nicht gelungen betrachtet. Im Dialog kann aus zwei oder mehr Perspektiven geprüft werden, ob die Einschätzung überhaupt haltbar ist, ob das so oft angenommene Versagen überhaupt zutrifft. Eine Lebensphase, die mit Verlust und Trauer oder mit Selbstbesinnung und Stille gefüllt war oder damit, dass man sich dem Gedeihen eines anderen Wesens gewidmet hat oder was auch immer man als fruchtlose Lebensphase empfinden mag, könnte aus einer anderen Perspektive betrachtet vielleicht auch sinnvoll in den natürlichen Lebensrhythmus eingeordnet werden. Von einer solchen Standortbestimmung aus kann es besser weitergehen, dass man den nächsten Schritt in seinem Prozess des Gedeihens geht. 

Sowohl bei der Ermutigung als auch bei der Orientierung geht es darum, dass wir einander helfen können, unsere inneren Erzählungen zu überprüfen, ihr Potenzial am Gedeihen aufzudecken und zu entlarven, was an ihnen das Gelingen von Leben hemmt. Wir können einander helfen, uns fester in der Erde zu verwurzeln und ganz die Pflanze zu werden, die in uns veranlagt ist. Indem wir Missverständnisse gegenüber dem Leben, sobald wir sie in den Aussagen unserer Mitmenschen entdecken, markieren und aufdecken und falls man es uns gestattet, sie auch zu korrigieren unterstützen, z. B. was das Auflösen von Glaubenssätzen oder auch von Ängsten, Mangel- und Schuldgefühlen angeht, können wir einander beistehen, innere Hemmnisse abzubauen, die das Gedeihen behindern. Dazu brauchen wir einerseits ein Interesse am Gedeihen unserer Mitmenschen, andererseits brauchen wir aber auch die Kompetenz und die Weisheit, den hemmenden Narrativen etwas entgegensetzen zu können. Wir müssen wachstumsfördernde Alternativen kennen, auf die wir anstelle der hemmenden Narrative verweisen können. Und sei es nur, dass wir ein Buch kennen, das wir zur Horizonterweiterung empfehlen oder verschenken können, während wir zugleich im Archetyp des*der Lehrer*in für die Diskussion der Inhalte und für die Beantwortung von Fragen unserem eigenen Verständnis nach zur Verfügung stehen. Zu berücksichtigen ist natürlich, dass das Wirksamwerden die Erlaubnis und die innere Bereitschaft der Person oder der Kultur braucht, der gegenüber man wirksam zu werden wünscht. 

Im Archetyp des*der Lehrer*in leisten wir einen Beitrag zum Gedeihen der Welt, ohne, dass wir den Beruf des*der Lehrer*in ausüben müssten. In diesen Archetyp fließen die Ressource der selbstsicheren Kompetenz und das Charisma der Genialität mit ein. Er wird also von der kosmischen Weisheit gestützt.

© Ariela Sager

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