Einführung
Worin die Mensch-Kosmos-Partnerschaft besteht, wie sie zustande kommt und auf welche Art sie erfahrbar werden kann.
Jenseits von Wundererzählungen, die die physischen Grenzen zu überschreiten scheinen und nur wenigen Menschen in ihrem Leben widerfahren und auch jenseits von temporär begrenzten Trancezuständen, die ein mediales Empfangen und Übermitteln von transzendenten Botschaften im Gemütszustand der Neutralität zulassen, gibt es eine Partnerschaft mit dem Kosmos, in die der Mensch hineinwachsen kann. Er will es und er soll es auch. Und er kann es jeweils auf seine ganz individuelle Art. Es handelt sich um die Emanzipation von den prärationalen Bewusstseinszuständen der Kindheit, wie auch ein Transzendieren der Rationalität hinein in das transrationale Bewusstsein einer geerdeten und erwachsenen Spiritualität.
Diese Spiritualität stellt die Teilhabe des Individuums am kosmischen Bewusstseinsstrom dar. Dieser Teilhabe ist sich das Individuum lange nicht bewusst, obwohl sie immer schon existierte. Sie liegt in der Schnittmenge, die der individuelle seelische Bewusstseinsstrom mit dem kosmischen Bewusstseinsstrom bildet. Diese Überschneidung liegt mit unserer Individuation und Inkarnation vor, nicht jedoch zwangsläufig schon die Bewusstheit für diese Überschneidung. Der Begriff der Individuation ist hier noch nicht als Prozess der Selbstwerdung gedacht, sondern als Konzentration des Allganzen in einem Individuum zur Verkörperung eines kosmischen Aspekts, respektive einer Energieessenz. Lange Zeit, und vielleicht auch viele Inkarnationen lang, tragen wir aber kein Bewusstsein für diese natürliche Teilhabe in uns, die sich aus der Schnittmenge ergibt. Wir sagen dazu, wir wüssten nicht, wer wir in Wahrheit sind, denn diese Wahrheit unterliege dem Vergessen im Moment der Inkarnation. Es sei die Aufgabe des Menschen, über den Vollzug des Lebens zu diesem Bewusstsein zurückzugelangen, sagen wir. Manche sagen dazu sogar: sich zu erinnern. Mehr als um eine Erinnerungsleistung geht es aber um eine Bewusstseinserweiterung, wie sie mit zunehmender Angstfreiheit und Aufrichtigkeit dem eigenen Fühlen gegenüber einhergeht. Versuche der Entgrenzung über ungesunde Wege (die Beseitigung von Grenzen kann zum Beispiel im Rausch oder in der Realitäts- und Selbstbildkonstruktion gesucht werden) weisen in diese Richtung, liegen aber jenseits einer Bewusstseinserweiterung aufgrund von zunehmender Reife und Selbstwerdung. Statt Grenzen beseitigen und sich selbst entgrenzen zu wollen, müssten die empfundenen Grenzen, um die Partnerschaft mit dem Kosmos zu aktivieren, transzendiert werden. Je mehr man aber im Laufe seiner Bewusstwerdungsarbeit und der Integration von Erfahrungen hinter sich lässt, wer man nicht ist, desto mehr erlangt man nach einer Phase des Übergangs an Unsicherheit und Unbestimmtheit die Chance, zu werden und zu sein, wer man in Wahrheit ist. Der Weg verläuft über das Gewahrwerden des freien Wesens jenseits des Egos, über die persönlich gültigen Werte und Einstellungen, über die Aktivierung der produktiven Eigenkräfte und die Ressourcen. In der Zuordnung zum Jahresverlauf handelt es sich um die Lebensqualitäten Intuition (September) und Ernte (Oktober), die in der Entwicklungsphase zwischen 35 und 42 Jahren verwirklicht werden. Was sich jetzt ausbildet, ist das individuelle Charisma.
Ab dem Moment, in dem die Ressourcen erschlossen sind, ist die jeweilige Urangst zugunsten der Liebe zum Leben überwunden. Jetzt kann das Individuum sich seiner Teilhabe am Kosmos bewusst werden. In der Regel geschieht das zuerst in Form einer Evidenz, also am konkreten Phänomen. Man stellt fest, dass man irgendetwas, das man vielleicht sogar schon sein Leben lang ausgeübt hatte, nun in einem anderen Geist und Modus unternimmt, dass man es auszuführen anders im Stande ist, dass es besser gelingt als bisher, inspirierter, leichtherziger, mit mehr Weitblick und Weisheit versehen, intuitiver, wirksamer. Diese Beobachtung wird manchmal mit dem Narrativ der Öffnung des dritten Auges oder der Aktivierung des Stirnchakras unterlegt. Neurowissenschaftlich wird es als Verwendung des präfrontalen Cortex beschrieben.
Der Erfahrung wird ganz sicher eigenes Engagement und eigene Disziplin zugrundeliegen, die die Eigenkräfte weiterentwickelt haben. Diese Eigenkräfte entwickeln sich, indem man sie einsetzt. Darüber hinaus stellt man an sich aber etwas fest, von dem man weiß, dass man es weder lernen konnte, noch unterrichten könnte. Es ist etwas, das über den Fleiß hinausgeht, vielleicht sogar über das Talent, insofern das Talent zu etwas angehoben erscheint, das man Meisterschaft oder Genialität nennen mag. Es ist das Zuhörenkönnen, das sich jetzt auf das höhere Selbst richtet und das wir Medialität nennen. Das eigentliche Medium ist dabei der transzendente Mensch, der Mensch, der zumindest die sein Talent blockierenden Begrenzungen überschritten und hinter sich gelassen hat, selbst wenn er andere persönliche Begrenzungen zu akzeptieren gelernt hat oder noch immer mit ihnen hadert.
Zuweilen verwendet der medial begabte Mensch dennoch ein materielles Medium wie die Kunstausübung – darunter auch die Heilkunst –, um sich dem Lauschen widmen zu können. Hier wird die Kunst nicht mehr, wie aus der Ressource des Ausdrucksvermögens heraus (Dreiecksfläche 5), als Projektionsfläche für die persönliche Innerlichkeit, vor allem für die Verarbeitung von Leid und Freude verwendet, sondern als Medium zum Empfangen höherer Wahrheiten. Aus einer anderen Erzählperspektive sagen wir, der Kosmos komme dem Menschen in der Ausübung seiner jeweiligen Kunstform – darunter auch in der Lebenskunst – entgegen. Tatsächlich bleibt der Kosmos, wo und was er ist: ein immerwährender Bewusstseinsstrom. Aber das Individuum bewegt sich, und zwar geistig. Er denkt höhergeistig. Die von den Ängsten und Blockaden befreite Psyche ist nun in der Lage, sich der Seele zu öffnen und ihre Botschaften zu empfangen. Die Kunsttätigkeit löst das Fließen aus (den flow) und nimmt es zugleich in sich auf (die Inspiration). Ebenso löst die Intention zu heilen das Fließen aus und nimmt es in sich auf, indem die*der Heilende die kosmische Kraft über ihre*seine Intention und/oder ihre*seine Präsenz oder ihre*seine Hände kanalisiert.
Einen solchen Menschen zeichnet aus, dass sie*er sich von ihrem*seinem beschränkten und beschränkenden persönlichen Wollen befreit hat, das auf Äußerlichkeiten wie Ruhm, Macht und Reichtum zielen könnte oder auch auf Vorstellungen von einer besseren Welt (zum Beispiel, indem man anderen Gesundheit wünscht, ohne zu wissen, ob Gesundheit zu ihrem Seelenplan gehört). Ein solcher Mensch hat nur noch die Intention in sich, demjenigen zur Unterstützung zu dienen, was der Selbstwerdung aller am besten dient: „Möge mir/dir widerfahren, was mir/dir zuträglich ist“. In diese Leerstelle der Demut hinein kann der Kosmos insofern wirken, als die Psyche in der Lage ist, die Botschaft der Seele aufzunehmen, die sie ihrerseits aus der Überschneidung des seelischen Bewusstseinsstroms mit dem kosmischen Bewusstseinsstrom erlangt hat.
Die Befreiung der Psyche ist also alles, was für ein Wirksamwerden der menschlich-kosmischen Partnerschaft getan werden kann. Ihre Grenzen müssen insofern aufgehoben werden, als sie mit der Integration der Ängste und der Inklusion der verborgenen Stärken überflüssig gemacht werden. Die Wirkung zeigt sich in einem inspirierten Sein, einem intuitiven Tun, in genialen Lösungsfindungen, in telepathischem Verstehen von Menschen, Tieren und Pflanzen, darin, dass man das Leben wirklich meistert, so dass es gelingt und dass das Individuum zu echter Heilung und zu wirklichem Fortschritt in der Welt beizutragen befähigt ist, indem es den Kosmos durch sich hindurch wirken lässt. In diesem gemeinsamen Wirken, das in dem arabischen Sprichwort “Gott hat keine anderen Hände als die unseren in der Welt” eingefangen wurde, besteht die Partnerschaft zwischen Mensch und Kosmos.
© Ariela Sager
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