Das kosmisch Allganze hat, so stellen wir es uns in allen modernen spirituellen Narrativen vor, die von einer transzendenten und höheren Macht sprechen, vollkommenen Überblick über alles, was ist. Wir sprechen von Weisheit, denn der Vorstellung nach handelt es sich nicht nur um Wissen, sondern um Verstehen. Religiöse Mythen gehen davon aus, dass der Mensch von seinem Gott oder seinen Göttlichkeiten verstanden wird. Umgekehrt sind diesem Verstehen durch den Menschen deutliche Grenzen gesetzt, was in religiösen Auffassungen formuliert wird als: „Gottes Wege sind unergründlich“.
Für gewöhnlich erstreckt sich diese Unergründlichkeit auch auf den zwischenmenschlichen Bereich. Der Versuch, seine Mitmenschen wirklich verstehen zu wollen, scheitert allzu oft an eben jener Unergründlichkeit, für die das Unbewusste die Verantwortung trägt. Aus diesem Unbewussten heraus stellt sich das Individuum lange Zeit sogar für sich selbst als unergründlich dar. Motive, die dem Individuum selbst nicht bewusst sind, können kaum anderen verständlich gemacht werden, weshalb so viel an menschlichem Verhalten unverständlich bleibt.
Das Verständnisvermögen des Menschen einem anderen Menschen gegenüber erhöht sich aber in dem Maße, wie der Mensch beginnt, sich selbst zu verstehen und dabei zu erkennen, dass sie*er eine Menge menschlicher Herausforderungen mit allen Anderen teilt. Es entsteht eine Idee von Überlappung der Erfahrungen, vielleicht auch eine Idee von Einssein mit anderen Menschen im Hinblick auf den Ursprung und das Ziel des Lebens. Das Gefühl von Überlappung und von Einssein lässt ein gewisses Maß an Weisheit entstehen. Aus dieser Quelle heraus wird Verstehen möglich.
Die Überlappungs- und Einheitsidee greift auch im Verhältnis zwischen Mensch und Kosmos. Der Mensch, der eine tiefe Gewissheit darüber empfindet, dass sich seine individuelle Essenz mit der allganzen kosmischen Essenz überlappt, dass ihr*sein Licht aus dem sie*er besteht, Teil des kosmischen Lichts ist, weil sie*er ein Teil des Allganzen ist, nimmt für sich den Gedanken und das Gefühl an, aufgrund dieses Einsseins an der kosmischen Weisheit teilhaben zu können. Teilhabe heißt natürlich nicht Allwissenheit. Die menschliche Begrenztheit liegt einerseits darin, dass man als Individuum nur einen Teilaspekt des kosmischen Bewusstseinsstroms verkörpert und sie liegt andererseits in der individuellen seelischen und psychischen Reife. Angenommen, die seelische und psychische Reife eines Individuums sei zu irgendeinem beobachteten Zeitpunkt sehr hoch, dann ist sein Bewusstsein für das wahre Wesen des Menschseins und seine transzendenten Möglichkeiten ebenso hoch. Ein solches Individuum ist sich nun der Überlappung oder Kongruenz zwischen dem eigenen Bewusstseinsstrom der Seele und dem kosmischen Bewusstseinsstrom des universellen Geistes gewiss oder sogar aus seiner persönlichen Erfahrung heraus bewusst.
Der Evidenz nach, wie sie für einige hochentwickelte, hochsensitive und hochsensible Menschen vorliegt, wird nun höheres Wissen und werden tiefere Einsichten durch ihr Tun hindurch (ihr Sprechen, ihr Schreiben, ihre Kunstproduktion) tatsächlich geteilt. Der kosmische Bewusstseinsstrom lässt den seelischen Bewusstseinsstrom an sich selbst, der Allganzheit, teilhaben. Er teilt sich der Seele mit und die Seele teilt sich der Psyche und dem Denken mit und das dergestalt inspirierte Denken teilt sich der Welt mit. Das hochentwickelte Element an diesem Menschen, das diese Teilhabe möglich macht, ist die von Blockaden und Ängsten befreite Psyche. Die befreite Psyche ist in der Lage, ihrerseits eine mentale Kongruenz mit dem seelischen Bewusstseinsstrom herzustellen, statt wie bisher eine emotionale Opposition zu allem Unbewussten zu bilden, mit dem Ziel, sich vor den unbewussten Inhalten zu schützen. Die Psyche, die aufgrund der aus dem Unbewussten (dem Unterbewusstsein) integrierten Inhalte keines Schutzes mehr bedarf (Aufgabe des inneren Wächters), kann sich nun für das weitere Unbewusste (das Überbewusstsein) öffnen. Der Schlüssel zur Weisheit ist also die psychoanalytische oder wie auch immer geartete Schattenarbeit. Ist diese Integration der angstbesetzten unbewussten Inhalte erfolgt, ist das Bewusstsein frei, den transzendenten Quellen vorurteilslos, mit offenem, aber kritischem Geist zuhören zu können.
Für gewöhnlich wird der Zugang über ein Medium der Kunst erleichtert, weshalb Kunst und Weisheit eng miteinander verbunden sind. Der Forschergeist ist aber ein ebenso geeignetes Medium wie auch der Wille, anderen zu helfen und Lösungen für Menschheitsprobleme zu finden. Wenn die Teilhabe an der kosmischen Weisheit gelingt, sprechen wir im Hinblick auf den Menschen, der sich diese Teilhabe gestattet hat, von einem Genie. Ihre*seine Arbeitsergebnisse und Lösungsvorschläge sind genial. Sie*er stellt geniale Lösungen bereit, kommt auf genialem Weg zum Heilerfolg. Die Kunst eines derart befreiten Menschen zeugt von ihrer*seiner Genialität. So entstehen Meisterwerke, deren Aussagen unserem Empfinden nach ewige Wahrheiten transportieren und deren außerordentliche Wirkungen darauf beruhen, dass sie die Wahrheit in uns berühren, mit der wir selbst teilhaben an der kosmischen Weisheit.
Die Genialität ist eine spirituelle Fähigkeit, ein Segen. Sie wird aktiviert im intuitiven Zuhörenkönnen (Yin-Kraft des 6. Dreiecks) und sie basiert auf der Ressource der Synchronizität oder des inneren Friedens (Ressource des 6. Dreiecks). Sobald man keine Angst mehr vor den inneren Dämonen haben muss, kann man sich auf diese Art, zuzuhören einlassen und empfängt durch seinen Stift, seinen Pinsel, sein Musikinstrument, seinen Körper, aber auch durch seine bloße Stimme hindurch Botschaften der erstaunlichsten Weisheit, von der man sich selbst völlig überrascht fühlt. In der Genialität spricht der Kosmos mit dem Menschen, so könnte man diesen charismatischen Aspekt der Partnerschaft verkürzt darstellen. Er spricht die Ressource des ersten Dreiecks an, die selbstsichere Kompetenz. In Wahrheit hört der gesundete Teil der Psyche dem sich mit dem kosmischen Bewusstseinsstrom überlappenden seelischen Bewusstseinsstrom zu und nimmt die Informationen auf, die jenseits des Alltagsbewusstseins für jede und jeden bereitstehen. Für jede und jeden, die*der sich die Dreiecksfläche des sechsten Dreiecks erschlossen hat, so dass sich ihre*seine persönlich stärkste Ressource der Dreiecke eins bis fünf für den Kosmos öffnet, stehen die für sie*ihn und ihre*seine Entwicklungsarbeit notwendigen Informationen bereit. Der Kosmos kann durch die geistige Offenheit (die in der Regel auf manifester Ebene mit einer hochsensiblen Konstitution einhergeht; siehe das Zusatzkapitel über die Hochsensibilität im Dreieck) auf die individuell stärkste Ressource zugreifen, um durch diese persönliche Ressource hindurch in die Welt zu fließen. Ein Genie wird einen durchaus vollen Wissensbrunnen aufzuweisen haben, dessen der Kosmos sich zum Wohl des Ganzen bedient.
© Ariela Sager
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