Die Ressource der Dankbarkeit und des inneren Friedens erwächst aus der Versöhnung mit seinem Schicksal. Schicksal, das ist der Oberbegriff für alles, was wir essentiell veranlagt mit ins Leben gebracht haben: alles an ungelösten eigenen und transgenerationalen Themen wie auch an Potenzial der zu entwickelnden Fähigkeiten und Entwicklungsstufen. In anderen Narrativkontexten nennt man es Karma und die Versöhnung mit diesem Karma nennt sich dort Nirwana.
Obwohl wir in der Hinsicht der essenziellen Veranlagung an seelische Selbstbestimmung glauben (also wir hier, in diesem Erzählkontext der Beziehungs- und Entwicklungsdreiecke), empfinden wir die existenzielle Entsprechung der genetischen Veranlagung dennoch als Zufall. Mit diesem Zufall hadern wir dann auch oft in Form von Unzufriedenheit über unser, wie wir es empfinden, beschränktes Vermögen. Wir bewerten unser Aussehen, unsere physischen, psychischen und intellektuellen Fähigkeiten, wie auch unsere Verwirklichungsmöglichkeiten und Chancen im Leben als veranlagtes Vermögen. Und meistens schätzen wir es als unzureichend und dürftig ein gemessen an dem, was wir eigentlich zu sein und zu haben wünschen oder gemessen an dem, was andere zu sein und zu haben scheinen. Wir machen uns gar nicht klar, dass die Seele sich bei unserer Ausstattung etwas gedacht haben könnte, selbst dann, wenn sie sich, also uns, mit vermeintlichen oder tatsächlichen Defiziten behaftet auf die Welt geschickt hat.
Einem absoluten Gottesglauben fällt es in der Regel noch leichter, Vertrauen auf die Gottesvorstellung zu projizieren, dass Gott manche seiner Schäfchen besonderen Prüfungen aussetze. Was genau dabei geprüft werden soll, wird so genau nicht beantwortet. Davon könne man nichts wissen, heißt es innerhalb des dortigen Narrativs, weil Gottes Wege unergründlich seien. Dort findet keine Versöhnung mit dem persönlichen Schicksal statt, also mit dem, was demnach von Gott für einen vorgesehen ist, sondern es herrscht Resignation vor der Begrenzung oder ihr Ignorieren. Emotionen des Aufbegehrens, der Wut und des Widerstandes werden unterdrückt und verdrängt oder mit beschwichtigenden Erzählungen kaschiert, um so ein gottgefälliges Leben führen zu können.
Versöhnung mit dem Schicksal aber, die eine solide Basis in der Dankbarkeit und dem inneren Frieden haben soll, muss aufbegehren, muss Wut fühlen, muss in den Widerstand gehen. Bevor es zur Versöhnung kommen kann, die dem Einklang zwischen dem existenziellen Was-sein-soll und dem essentiellen Was-ist entspricht, muss es zur Auseinandersetzung zwischen Ich und Selbst kommen (oder sogar zwischen Selbst und höherem Selbst). In der Bibel wird diese Auseinandersetzung von all jenen Figuren repräsentiert, die mit Gott darüber hadern, dass Er Dinge tut oder nicht tut, die ihnen als Menschen Unannehmlichkeiten bereiten. Dieses Hadern muss sein, bevor es zum Entwicklungsschritt der Emanzipation (der hier Transzendenz genannt wird) und dann zur Versöhnung mit dem Überwundenen – oder eigentlich mit dem Überwindenmüssen – kommen kann. Es geht um die Versöhnung mit dem Leben als Zumutung.
Versöhnung ist demnach – wie schon die Verbindung im Selbst (4. Dreieck) – Prozess und Ergebnis zugleich. In der Auseinandersetzung des Individuums mit dem Leben und seiner Beschaffenheit in allen Facetten synchronisiert sich nach und nach das psychische Denken mit dem seelischen Bewusstseinsstrom (der nicht durch das Denken, sondern nur durch das Gewahrsein erfasst werden kann). Die Psyche versteht die Seele immer besser, je mehr der Mensch sich selbst und die Bedeutung seiner Anlagen versteht. Wenn es über die Gegenstände, die im Laufe des Lebens und der Auseinandersetzung wechseln können und sollten, zu einem immer umfassenderen Verständnis gegenüber der seelischen Verfasstheit kommt, die seelische Intention immer erkennbarer wird, beruhigt sich der Gedankenfluss, der für die ständige Bewertung und die Produktion von Unzufriedenheit und Dissonanz verantwortlich ist. Er wird überflüssiger, je tiefere Einblicke man gegenüber der eigenen Essenz gewinnt und je klarer man erkennt, worum es im eigenen Leben eigentlich jenseits der manifesten Phänomene geht.
Es ist dieses Verstehen der eigenen Essenz, das diese Transzendenz zur eigenen Persönlichkeit in die Immanenz der persönlichen Existenz hereinholt. Jetzt können Defizite entweder ausgeglichen werden, indem bisher unbekannte Eigenkräfte aktiviert werden, und / oder es finden Perspektiveerweiterungen statt, so dass manches, was bisher als Defizit angesehen wurde, durchaus in einem anderen Rahmen als Stärke erkannt wird. Als drittes können Defizite illusionslos auch angenommen werden und man versöhnt sich aus dem ansonsten hohen Maß an Selbstverständnis heraus mit einem Rest Ratlosigkeit.
Mache Krankheit oder mancher Schicksalsschlag kann nicht verstanden werden, und doch lassen sich die stets vorliegenden Erzählungen so der inneren Wahrheit entsprechend transformieren, dass eine Versöhnung auch ohne Verstehen möglich wird. Zeit und Geduld sind ihre Voraussetzungen, aber auch das Zulassen von Bewusstseinsströmen in den eigenen Gedankenfluss hinein, die manchen festgefahrenen und schmerzhaften Gedanken zu ersetzen vermögen. Ein mögliches spirituelles Narrativ lautet: Die Seele hat sich mit voller Absicht so inkarniert, wie sie sich inkarniert hat, mit all den schönen Details, den Mängeln, dem Potenzial. Die Seele hat gegenüber dem Abenteuer des Entwicklungswegs und der Ausstattung dazu, einen Plan. Den Plan verfolgt sie normalerweise mit Hilfe der Psyche und den in dieser Psyche liegenden Eigenkräften, in manchen Fällen auch entgegen der Psyche, falls sie die Aktivierung ihrer Eigenkräfte verweigert, und zuweilen wird sie auch von der Psyche an der Ausführung ihres Plans gehindert. Im letzten Fall findet ein Kampf im Individuum statt und der Mensch empfindet sich als zerrissen und selbstentfremdet, weit entfernt davon, sich mit seinem*ihrem Schicksal zu versöhnen, weil er*sie sein*ihr Schicksal weder versteht noch annimmt. Dieser innere Kampf verursacht dasjenige, was in anderen Erzählkontexten als zu überwindendes Leid empfunden wird.
Sobald der Weg der Synchronisierung, über den Weg des Lauschens nach innen beschritten wird, kann der Prozess der Versöhnung zwischen Essenz und Existenz starten, an dessen Ende der Zustand und die Ressource der Versöhnung liegen. Aus dieser Ressource heraus ist wiederum der Weg frei geworden, das Leben partnerschaftlich mit seiner Seele und damit mit dem Kosmos zu gestalten. Man fühlt sich jetzt nicht nur Zuhause in sich selbst, sondern im Kosmos, in der Liebe, in Gott oder in der wie auch immer benannten Transzendenz, weil man die Transzendenz als immanent erkennt. Diese Erkenntnis ist die eigentliche Versöhnung. Sie wird oft als Erweckungserlebnis oder als Gotteserfahrung und letztlich als Zustand der Seligkeit geschildert. Es handelt sich um den synchronisierten Zustand zwischen der Psyche und dem seelischen Bewusstseinsstrom, der seinerseits den Zugang zum kosmischen Bewusstseinsstrom darstellt. Über eine wie auch immer geartete Meditationspraxis können wir die Inhalte abrufen und so Versöhnung herstellen.
Von der Dreiecksfläche des sechsten Dreiecks aus werden die Dreiecksspitzen aller Dreiecke aktiviert. Die Identifikation mit der eigenen Seele und der eigenen Essenz führt jene Synchronizität herbei, die uns ersehnte Dinge ins Leben bringt und Wunscherfüllungen beschert, wovon wir manches sogar als Wunder einstufen.
© Ariela Sager