Das innere Vermögen, das ausgedrückt werden will, setzt sich zusammen aus all unseren integrierten Lebenserfahrungen, vor allem aber aus unseren Gefühlen (Geist), Empfindungen (Körper) und Emotionen (Herz). Das Schöne, das Gute und das Wahre wollen in die Welt. Die Gefühle speisen sich aus dem Bewusstseinsstrom, die Empfindungen werden im Körper erzeugt und die Emotionen sind Gedanken gesteuerte Energien im Nervensystem. Wenn wir es schaffen, diese Gesamtheit an innerem Reichtum auszudrücken, entsteht (Lebens-)Kunst. Es entstehen Werke, die diese Gefühlswelt transportieren, um sie mit anderen zu teilen und es entstehen tiefe und authentische Gespräche, in denen wir uns einander mitteilen. Und der Sinn dieses Teilens im Mitteilen liegt in der Bewusstseinserweiterung. Ein Schatz wird in der Mitteilung um Teile aus einem anderen Schatz bereichert, so dass sich der eigene Schatz in der Spiegelung in einem Teilaspekt eines anderen Schatzes erweitern kann und eigenes Vermögen aus dem Unbewussten hinzugeholt wird. Der*die Künstler*in erweitert ihr*sein Bewusstsein für seine Tiefen, während sie*er Kunst schafft. Sie*er geht über ihr*sein aktuelles Dasein hinaus und erreicht höhere Bewusstseinsdimensionen. In der Kunstrezeption, sofern sie unter innerer Bewegung, also aktiv oder sogar produktiv stattfindet, nimmt das Kunstwerk den*die Betrachter*in von Kunst oder den*die Leser*in in diese höhere Bewusstseinsdimension mit. Das Kunstwerk entbietet die Einladung dazu, nicht der*die Künstler*in. Somit wird die in einer Gesellschaft vorhandene Kunst zu eine ihrer wichtigsten Ressourcen für das Gelingen des Lebens und des Menschseins. Die zweite wichtige Ressource ist das Gespräch.
Davon abgesehen, dass sich Kunstformen wandeln, ist quantitativ und qualitativ viel mehr als Kunst anzusehen, als nur das, was in Konzerthäusern, Verlagen oder Museen seinen Platz zugewiesen erhält. Ausdrücke von Lebenskunst können ebenfalls diese Perspektiven verschieben und bewusstseinserweiternde Mitteilungen enthalten. Alles, was den Menschen aufmerksam werden und umdenken lässt, ist Teil des Gesamtvermögens Kunst, das in einem Individuum vorliegt und damit in einer Gesellschaft.
Von diesem inneren Vermögen eines Menschen geht ein Ruf aus, der für manche Individuen mehr als eine Einladung ist. Künstler*innen nennen ihn den Ruf der Muse und sie müssen ihm entsprechen, um ihr Grundbedürfnis nach Konsistenz nicht zu verletzen – oder auch, um Konsistenz und Kohärenz überhaupt erstmal herzustellen. Der Ruf fordert dazu auf, sich mit all dem produktiv auseinanderzusetzen, was an menschlichem Vermögen vorhanden ist. Dieses innere Vermögen brach liegen zu lassen, es nicht für sich arbeiten zu lassen und es stattdessen zu verdrängen, führt zu innerer Verarmung. Das Vermögen an Gefühlen und Empfindungen und Emotionen nimmt ab und es wird kein neues Vermögen mehr aufgebaut, wenn das vorhandene nicht reflektiert wird. Der Mensch stumpft ab, wird innerlich leer.
Der beste Weg also, seinen inneren Reichtum zu bewahren und sogar zu vermehren, ist der, ihm Aufmerksamkeit zu schenken, ihn zu beachten und zu pflegen. Denn so ist das mit uns und dem Menschsein: Die Energie folgt der Aufmerksamkeit und wir werden mehr Mensch, je mehr wir uns wahrhaft mitteilen, ganz wie die Liebe mehr wird, je mehr wir sie teilen. Widmet man sich seinem inneren Reichtum mit liebevoller Zugewandtheit, wie es die künstlerische Betätigung und der authentische Ausdruck tun, wie es aber auch das Tagebuchschreiben oder das tiefe Gespräch zwischen zwei Menschen tut, vermehrt er sich und findet über die Manifestationskraft sicher auch seine Entsprechung im Außen, worin auch immer die Manifestation des inneren Reichtums bestehen mag. Das Vermögen im Menschen findet seinen Ausdruck, wie Wasser seinen Weg findet, wenn man ihm die Freiheit lässt, zu fließen. Bei der Ressource der Integrität, die wir auch Selbstgewissheit nennen können, geht es darum, sich dieses inneren Vermögens gewahr zu werden und sich dazu seiner selbst gewiss zu sein.
© Ariela Sager