Vorwort

Liebe Leser*innen,

ein Wort gleich hier vorweg zur Anspracheform: Ich liebe die Entdeckung des Genderns. In Hörbüchern habe ich schon gehört, dass sich selbst das Auslesen des Gendersternchens viel weniger kompliziert ausnimmt, als die Skeptiker*innen meinen. Im stillen Für-sich-Lesen kann man sich ja für eine der beiden Formen entscheiden und nur sie lesen. Als ich das altchinesische I Ging mit seinen antiquierten Rollenbildern neu bearbeitet habe, ist mir jedenfalls aufgefallen, dass es emotional einen großen Unterschied macht, ob ich die jeweils männlichen Formen der Archetypen (der Edle, der Weise, der König, der Lehrer, der Schüler, der Gemeine) beibehalte oder ob ich die weiblichen Formen ebenfalls benenne, jedenfalls dort, wo nicht nur die Archetypen, sondern auch die gesellschaftlichen Rollen gemeint sind. Die Welt schien mit der Benennung von Lehrerinnen, Schülerinnen, der Edlen, der Weisen, die Prophetin und die Bodhisattva plötzlich um eine immense Kraft bereichert. Da ich selbst eine Frau bin, habe ich gespürt, dass ich mich erst mit der Niederschrift der weiblichen Form der archetypischen Rollen wirklich angesprochen und eingeladen gefühlt habe, mehr als in der männlichen Form, die meinen Beitrag nur mitdenkt, seine Potenzialität aber nicht wirklich benennt und damit eigentlich, für mich gefühlt, auch nicht wirklich und ernsthaft in Betracht zieht. Es ist mir also wichtig, zu gendern. Aus Respekt, aber auch aus Notwendigkeit. Wir brauchen die weibliche Energie in der Welt. Wir brauchen dringend, dass sie aktiviert wird und dass sie das Handeln bestimmt. Die Yang-Kraft muss sich mit der Yin-Kraft verbinden, damit die Welt ganz werden kann. Damit ist nicht mal gemeint, dass die Frauen die Macht übernehmen müssten, wo sie vorher die Männer innehatten, sondern es ist gemeint, dass jeder Mensch die beiden Kräfte in sich selbst zum Ausgleich bringen sollte. Wenn das aber geschehen ist, kann nicht mehr ein Geschlecht unangesprochen bleiben, wenn es um die Menschwerdung geht und um die Frage, was wir für die Erde tun können. Dann ist jeder Mensch mit weiblicher und männlicher Energie zu gleichen Teilen gesegnet und gemeint, und die einzige Frage ist der individuelle Unterschied, den jeder Mensch durch seine ganz persönliche Haltung und sein Verhalten ins Leben bringt. Nicht das Geschlecht macht den Unterschied, es ist nur Teil der Persönlichkeit, die den Unterschied macht. Auch wenn es sich also etwas ungewohnt liest, versuche ich, so gut es geht zu gendern, weil wir alle gemeint sind, unterschiedslos, und weil wir uns dringend bewusst machen müssen, dass wir die hier im Buch angesprochene Selbstverantwortung ausnahmslos alle tragen. Wenn eine Frau dieses Buch liest, muss sie sich ganz genauso angesprochen fühlen können als „ich bin gemeint“, wie ein Mann, der dieses Buch liest. Das ist mir wichtig.

Darüber hinaus spreche ich in den Texten in der Regel von „uns“ und „wir“, weil ich aus dem hohen Wert der Solidarität heraus sprechen möchte. Wir sind alle auf der langen und manchmal so beschwerlichen Reise unterwegs, die ich hier schildere. Ich kann diese Texte nur schreiben, weil die Erfahrungen meiner eigenen Reise einfließen können. Darum sage ich am liebsten „wir“ und „uns“ und meine damit: „Ich habe es auch erlebt“.

Ein Wort zu mir: Wenn ich zur Begründung des „Wir“ und des „Uns“ sage, ich habe es erlebt, so dass ich es überhaupt aufschreiben kann, dann meine ich damit eine Kindheit, ohne meine leibliche Mutter an meiner Seite. Ich meine die Unterdrückung meiner Kreativität durch meinen von Leid, Trauer und Lebensangst geprägten Vater, die Erfahrung von Verlust und Entfremdung gegenüber dem weiteren Familienkreis, die die Konsequenz von beidem war, dem Tod meiner Mutter nach meiner Geburt und dem nie integrierten Leid meines Vaters. Ich meine die Erfahrung eines Berufslebens, das sich als ein Irrweg abseits meiner Bestimmung angefühlt hat, mich aber in Wahrheit mit all den notwendigen Erfahrungen des dualistischen Denkens und Handelns versorgt hat, ohne dass die konkrete berufliche Tätigkeit je von Belang gewesen wäre. Ich wünschte, ich könnte meinem jüngeren Ich aus heutiger Sicht sagen: Reg dich nicht auf, auf das hier kommt es überhaupt nicht an, es geht nur um die Erfahrung. Ich meine auch die Erfahrung, vermeintlich verspätet erst auf den eigenen Weg gefunden zu haben und das ersehnte Studium, wie sich herausstellte, zur richtigen Zeit und mit der notwendigen Reife und Lebenserfahrung viel erkenntnisgewinnbringender absolvieren zu können, als es mir mit Anfang 20 möglich gewesen wäre, wo ich noch unter der Kreativitätshemmung durch meine Kernfamilie stand. Vor allem aber meine ich die Erfahrung, dass ich irgendwann erkannt habe, dass das Medium, das mich schon seit meiner Kindheit getröstet, beruhigt, ermutigt, unterrichtet und geführt hat, ja durch das ich mich geliebt und gehalten gefühlt habe, nämlich das geschriebene Wort, mein Verbündeter ist und mir in meiner Arbeit spirituell zur Seite steht. Das war so in der Schule, im Studium und es ist so in meiner Coaching-Arbeit und erst Recht in meiner Arbeit als Autorin. Ich meine die Erfahrung, dass mir Texte, deren Informationen und Inspirationen ich brauche, mich immer zur richtigen Zeit erreichen, auf welchen Wegen auch immer das geschehen mag. Ich meine die Erfahrung, dass meine eigene Textproduktion den Stift auf dem Papier braucht, mir dann aber so zuverlässig leichtfällt, als würde ich ein Diktat schreiben und als hätte ich nichts weiter zu tun, als einer Stimme in mir zu lauschen, die mir Dinge durchgibt, von denen ich nicht wusste, dass ich sie wissen könnte. Wenn ich „wir“ und „uns“ sage, dann meine ich damit, dass ich nur exemplarisch von meiner Lebensreise berichte und mich um die notwendige Abstraktion bemühe, damit andere sich in ihr spiegeln und sich selbst erkennen können.

Ich bin literaturwissenschaftlich und schreibtherapeutisch ausgebildet. Das Erzählen und das Erzählte ist der Gegenstand meiner Leidenschaft und Hingabe. Mehr als dass mich in einem Gespräch interessiert, was jemand sagt, interessiert mich, wie jemand etwas sagt und warum und wozu. Das war schon immer so. Ich hatte schon als Kind ein Gespür dafür, dass der Inhalt einer Aussage nur eine Momentaufnahme ist und dass es viel entscheidender sei, ihre Begleitumstände zu beachten. Dadurch habe ich mir als hochsensibles Kind zwar oft den Vorwurf der Überempfindlichkeit zugezogen, habe aber zugleich manche Aussage über meine Person auch auf Distanz gehalten, weil ich ihre Motivation erkannt und mich geweigert habe, sie zu meiner Erzählung zu machen. Ich brauchte allerdings das Instrumentarium meines literaturwissenschaftlichen Studiums und meiner schreibtherapeutischen Ausbildung, wie auch meine Erfahrungen aus dem kreativen Schreiben, um die Intuition in ein Denkmodell verwandeln zu können.

Und hier sind wir. Hier lege ich das Denkmodell als kurze Skizze vor und hoffe, ich kann mit ihm in meine Arbeit hinein einladen, in der ich meine Leidenschaft aus der Kindheit umsetze, dem Erzählen und dem Erzählten anderer Menschen aufmerksam zu lauschen und darüber schriftlich zu kommunizieren. Heute erweitere ich mein Lauschen und mein Schreiben um das Angebot, bei der Sichtung der Narrative behilflich zu sein und, falls notwendig, bei der Transformation des Wie, des Warum und des Wozu der Erzählung zu unterstützen. Von unseren Narrativen hängt unser Leben ab, wie wir es erfühlen, erfahren und führen. Der Mensch ist, wie mir scheint, ein erzähltes Wesen, wie er*sie ein erzählendes Wesen ist. Erzählt wird dieses Wesen über seine Seele vom kosmischen Bewusstseinsstrom und es erzählt selbst durch seine Psyche, seine Einstellungen und sein Handeln. Im Erzählen erschafft der Mensch Bedeutung und Sinn, wo das Leben mit dem Erzählten, das wir nicht beeinflussen können, Sinn- und Bedeutungsanfragen stellt und den Menschen zur Beantwortung durch sein Erzählen über sich selbst auffordert. Das Leben akzeptiert dabei jede Erzählung. Den Menschen bringen aber nur kongruente Erzählungen weiter, bedeutungsvolle und sinnvolle Erzählungen. Nur mit ihnen kann der Mensch in sich selbst hineinwachsen, indem er*sie seine*ihre ganz persönliche und innerste Wahrheit über die von ihm*ihr gewählte Erzählung nach und nach offenbart.

Dann noch ein Wort zur Komplexitätsreduktion: Das hier ist eine Einführung in das von mir entwickelte Denkmodell der Beziehungs- und Entwicklungsdreiecke. An dieser Stelle hier lasse ich ausführliche Ausführungen über die Urbilder und Archetypen, wie auch über die Urängste und Grundbedürfnisse weg, weil es sonst für einen kurzen Überblick zu komplex würde. Im virtuellen Unterrichtsraum von Google Classroom stehen noch sehr viele und ausführlichere Texte zur Einführung, Vertiefung und Weiterführung, mit denen vor allem aktiv gearbeitet werden soll. In meiner Coachingarbeit begleite ich unter anderem die aktive Lektüre. Nähere Informationen stehen dazu auf www.schreibspiel.net oder im Bereich der Arbeitsangebote im Google Classroom. Den Classroom erreichen Sie*erreichst du über eine E-Mail an mich unter schreib@ariela-sager.de, damit ich Ihnen*dir einen Zugang einrichten kann. Dort sind auch Kommentare oder Fragen zum Buch zu stellen möglich und willkommen. Die Texte stehen dort in der von der Community mitbearbeiteten Version. Damit bin ich schon beim Dank an die dort vertretenen Menschen, die meine Arbeit von Anfang an und Jahre lang begleitet und durch ihr Sein und ihre Arbeit mit mir inspiriert haben.

Ich wünsche Ihnen*dir viel Freude bei der Lektüre dieses Werks, das im Grunde genommen ein Gemeinschaftswerk aus den Erfahrungen der Lebensreisen vieler Menschen ist. Auch deshalb sage ich „wir“ und „uns“.

Ganz herzlich,

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