2 – Einzigartigkeit

Die Ressource, die direkt mit der Lebendigkeit im Bunde steht, mit der Tatsache, dass man als Mensch am Leben ist, umfasst mehrere Energien. Hier liegen die Selbstheilungskraft, die Kreativität, die Ambivertiertheit des Temperaments, die Körperweisheit und das klare Bewusstsein darüber vor, mit welcher persönlichen und einzigartigen Ausstattung (Konstitution) man in der Welt ist. Dieses Selbstbewusstsein ist die Voraussetzung, mit der alle anderen Qualitäten aktiviert werden können. Diese Grundlage ist einzigartig für jeden Menschen und darum muss sie von jedem Individuum für sich selbst erschlossen werden.

So geht von jedem Menschen eine einzigartige Melodie aus, eine Art Grundton, der von hochsensitiven Wesen wahrgenommen werden kann. Diese Melodie wird erzeugt von der persönlichen Ausstattung des Individuums, aber auch von dem Grad, zu dem man die im Unbewussten liegenden Kräfte bereits ins Bewusstsein integriert hat. Falls die Unbewusstheit für die eigene Einzigartigkeit überwiegt, wird ein Gefühl der Selbstentfremdung und der Disharmonie erzeugt, was zu einer Dissonanz im Grundton führt.

Der Grundton ist nicht nur als Melodie, sondern auch als Grundstimmung und als Hintergrundschwingung wahrnehmbar. Im Text sind es der Subtext und die Textaura. Im Verhalten ist es das Subtile, das auf die Hintergrundschwingung hinweist und Harmonie oder Disharmonie spürbar macht, aber auch auf die dominante kosmische Energie verweist, die ein Mensch verkörpert. Im Fall der Dissonanz fehlen dem Individuum Lebensinformationen über sich selbst. Es fühlt sich darum unvollständig. Als Manifestation der inneren Unvollständigkeit kann es sein, dass Beziehungen nicht in die Harmonie kommen, so sehr man sich auch bemüht, weil die Resonanz der inneren Disharmonie nur Resonanzpartner*innen anziehen, die das Ungleichgewicht spiegeln. Dieser Zusammenhang gilt über den Mechanismus aus Resonanz und Synchronizität für alle Lebensphänomene. Die Schwingung zieht Phänomene an oder stößt sie ab.

Man begegnet diesem inneren Kampf lange in nur einem von zwei Temperamenten. Im Modus der Introvertiertheit versucht man, sich von der Welt zurückzuziehen, versucht, sich vor ihren Zumutungen zu verstecken und versucht möglichst zu vermeiden, sich selbst der Welt zuzumuten. Im Modus der Extrovertiertheit verlangt man von der Welt, dass sie sich einem stellt, so wie man sich selbst ihr entgegenstellt, vielleicht sogar die Faust reckt und ruft: „Jetzt ist es an uns beiden, Welt!“ 

Ist die Ressource des zweiten Beziehungs- und Entwicklungsdreiecks aber erschlossen, wie sie sich aus der Präsenz (Yin) und dem gesunden Urteilsvermögen (Yang) ergibt, wenn das innere Kind von diesen Kräften aus seiner Lebensangst erlöst und in die Obhut einer erwachsenen Vernunft genommen wird, liegt eine Ambivertiertheit des Temperaments vor. Die Ambivertiertheit ist nicht die Mitte zwischen der Introvertiertheit und der Extrovertiertheit, sondern sie ist die Emanzipation von den Extremen. Man ist in der Lage, sich der Welt zuzuwenden und sich auf sie zu beziehen, also eine Beziehung mit ihr einzugehen und dazu aus sich herauszugehen, wie man in anderen Situationen auch in der Lage ist, ganz bei sich zu bleiben und sich zurückzunehmen, wenn es erforderlich ist. Es gibt kein Entweder-Oder mehr, sondern aus einem klaren Selbstbewusstsein heraus, mit dem man zunächst mal bei sich angekommen ist und sich selbst wirklich wahrgenommen hat, auch wahrgenommen hat, inwiefern man sich von anderen unterscheidet, kann man jetzt ein echtes Interesse für das Andere entwickeln und auf die Welt zugehen. Jetzt stülpt man der Welt nicht mehr die eigenen Vorstellungen von einem vollständigen, harmonischen Sein und einem gelingenden Leben über, sondern man schaut hin (Yin 2), stellt Fragen (Yang 2), interessiert sich (inneres Kind 2), hört zu (Yin 6), lässt Unterschiede gelten (Yang 6) und hat Freude an der Unterschiedlichkeit (inneres Kind 6).

Dieses Zusammenspiel der integrativen Kräfte Yin und Yang mit dem inneren Kind (dem Gefühl), das jetzt anstelle der (Selbst-)Ablehnung (Passivpol), der Selbstsabotage (Aktivpol) und der Angst vor dem Leben (Urangst) Interesse und gesunde Neugier aufbringt, wird zur echten Beziehungsfähigkeit als weitere Qualität dieser Lebensressource. In den Beziehungen, die die Einzigartigkeit der Parter*innen zu spiegeln vermag, werden auch unbewusste Aspekte gespiegelt und dadurch wahrnehmbar gemacht. Zur Erinnerung: Die Intimität ist die Yang-Kraft dieses Dreiecks. Über die Wahrnehmung werden unbewusste Aspekte ins Bewusstsein integriert, sofern sie angenommen werden.

Die Fähigkeit, sich aufeinander und auf das Leben zu beziehen, beinhaltet eine Energie, die die Selbstheilungskräfte in jedem Einzelnen aktiviert. In diesen Begegnungen, die auf der Ressource der erkannten Einzigartigkeit basieren, wird Energie geschenkt, die den Geist, das Herz (das Gefühl) und den Körper anspricht. Hier entwickelt sich eine Kreativität, die ganz dem Leben entspricht: Aus zwei einzigartigen Individuen wird ein drittes Neues erschaffen. Zwei in sich harmonische Grundtöne bilden eine Melodie, die aus ihnen beiden besteht und über diese beiden Einzelkomponenten hinausgeht. Es kann sich konkret um alles handeln, mit dem das Leben anschließend verwandelt vorliegt. Diese Verwandlung wird als ein Schritt in Richtung größere Vollständigkeit empfunden. Darum kommt es so oft im Leben dazu, dass das Pferd von hinten aufgezäumt werden soll und man sich eine Konkretisierung so dringend wünscht, weil man sich von ihr Vollständigkeit erhofft (eine Beziehung, ein Kind, ein Haus, eine wichtige Arbeit, Gesundheit, Idealgewicht), statt zu bedenken, dass nur inneres Ganzsein sich im Außen manifestieren kann. Das Bewusstsein für die volle Einzigartigkeit führt zu einer Harmonie im eigenen Sein, die auf andere Lebewesen äußerst anziehend wirken kann, und der Rest kommt dann von selbst, wie man so sagt.

© Ariela Sager

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